Eine Antwort auf „Zu Strategien in politischen Strafverfahren gegen Antifaschist*innen“ aus dem AIB
In antifaschistische Kreisen gibt es vermutlich fast niemanden, der nicht mindestens einmal die Gelegenheit ergriffen hat, sich in irgendeiner Weise zum Antifa-Ost-Verfahren zu äußern. Alle Welt weiß natürlich bestens über alles Bescheid: Welche Fehler wurden bei der Aktion gemacht? Wie hätte man es selbst gemacht? Was wäre einem selbst ganz sicher nicht passiert? Wie hätte man selbst auf eine Anklage reagiert? Es ist ja immer interessant sich anzuhören, was die Menschen dazu zu sagen haben. Aber dann zugleich ist es doch wieder nicht so interessant, denn aus der sicheren Lage heraus, mit Überlegungen, die nichts kosten außer Zeit, da wissen natürlich alle, wie sie es gemacht hätten: Besser. Überall sitzen alle möglichen Leute, die alles noch ein bisschen besser gekonnt hätten, nur merkwürdigerweise hören wir außer dieser Ideensammlung, wie sich welcher Fehler hätte vermeiden lassen, gar nicht so viel davon, dass da jemand wäre, der oder die irgendetwas so viel besser macht. Vielleicht ja gerade deswegen? Vielleicht machen es die Bessermacher:innen aus der Küche ja so viel besser, dass wir einfach nicht mitbekommen, mit welcher Raffinesse der militante Kampf gegen die Nazis geführt wird? Das kann sein. Und dann sind wir eben darauf angewiesen, dass jemand uns hin und wieder einen Fingerzeig gibt, wie es besser zu machen ist. Und hier, in diesem Glanzstück aus dem AIB, da können wir nun nachlesen, was besser zu machen ist, falls es dann doch einmal schief gehen sollte. Das ist schon im Ansatz so öde, dass es kaum lohnt, den Text zu lesen, aber was sollen wir sagen, es ist nun doch passiert und wie das dann so ist, wir wollen das jetzt nicht einfach so stehen lassen, weil nachher denkt jemand noch, das sei nun der Weisheit letzter Schluss oder so.
Es ist ja nun auch so, dass die Verfasser:innen des Textes „Zu Strategien in politischen Strafverfahren gegen Antifaschist*innen“ selbst schon erkennen, dass ein gewisser Mangel in ihren Ausführungen steckt, und zwar der Mangel der Ahnungslosigkeit: „Als Beobachtende kennen wir immer nur einen Teil von allem: einen Teil der Akten, einen Teil der Hintergründe, einen Teil der Ängste und Abgründe, die ein größeres Strafverfahren bei allen Beteiligten auslöst.“ Soweit so richtig, und daraus wird dann folgender Schluss gezogen: „Die Diskussion, gegebenenfalls auch die kritische Würdigung von Prozessstrategien in einem Strafverfahren, kann immer nur abstrakt erfolgen.“ Dieser Aspekt ist so wichtig, dass er „Vor allem anderen […] an dieser Stelle betont werden [muss]“. So weit so umsichtig. Gesagt wird damit, dass gerade aus der Unkenntnis der Sache, um die es geht, aufgrund der mangelnden Einsicht in den Sachverhalt, sich vom Sachverhalt entfernt wird. Dass also „abstrakt“ über die Sache gesprochen wird, es also nicht um den konkreten Fall geht, sondern um den Fall in seiner allgemeinen Bedeutung. Und diese allgemeine Bedeutung, die finden wir ja auch schon im Titel des Textes wieder, der ja ganz allgemein und abstrakt von „Strategien in politischen Strafverfahren gegen Antifaschist*innen“ spricht. Das kann man natürlich so machen. Wir erwarten also nun allgemeine Strategien für politische Strafverfahren gegen Antifaschist:innen im Allgemeinen. Diese Erwartung scheint auch richtig zu sein, denn es wird ja nochmal betont: „Es soll hier also nicht darum gehen, Angeklagte oder gar verurteilte Antifaschist_innen für ihr Prozessverhalten zu kritisieren, sondern darum, für zukünftige Prozesse nach Möglichkeiten zu suchen, die zukünftig Angeklagten mehr Handlungsoptionen liefern, deren Entscheidungsmöglichkeiten auszuweiten“. Es geht also nicht um das Antifa-Ost-Verfahren oder gar eine Kritik daran, wie der Prozess geführt wurde, sondern es geht um die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten für zukünftige Prozesse. Das klingt gut und ist ja auch irgendwie selbstverständlich, weil ja die zukünftigen Prozesse noch nicht stattgefunden haben und also zukünftige Angeklagte ganz tatsächlich noch gar nichts gemacht haben oder ihnen noch gar nichts widerfahren ist, was ihre Handlungsmöglichkeiten einschränken würde. Eine „Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten“ ist daher zwar noch nicht nötig, aber immerhin auch möglich. Es geht also wohl um so etwas wie eine gedankliche Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten, also eine Art Inspiration für alle, die vielleicht dachten, wenn sie als Beschuldigte auf der Anklagebank sitzen, da haben sie nur noch einen festgelegten Weg, wie sie damit umzugehen haben. Und nicht nur das: „Die in diesem Beitrag vorgenommenen Zuspitzungen sollen auch nicht bedeuten, dass es nur einen möglichen Weg gibt“, also es geht liberal zu in der Zukunft, es gibt sogar nicht nur verschiedene Handlungsmöglichkeiten, sondern sogar mehrere mögliche Wege. Von was aber kündet die „in diesem Beitrag vorgenommene Zuspitzung“? Waren die freundlichen Worte vielleicht nur verloren, um eine nun kommende Härte abzumildern? Um unser Vertrauen zu erschleichen, nur um nun doch von nur einem richtigen Weg zu sprechen? Wir dürfen gespannt sein.
Leider muss gesagt werden, dass nun schon im nächsten Abschnitt die Ankündigung von davor abgeräumt wird: „Die nachfolgenden Überlegungen sollen anhand der Erfahrungen im ersten „Antifa-Ost-Prozess“ beim Oberlandesgericht (OLG) Dresden vorgenommen werden.“ Eine gewisse Verwirrung scheint beim Verfassen des Textes vorgeherrscht zu haben, denn es geht nun also nicht abstrakt um allgemeine Prozessstrategien, sondern es geht um den Antifa-Ost-Prozess und damit dann wohl doch darum „ Angeklagte oder gar verurteilte Antifaschist_innen für ihr Prozessverhalten zu kritisieren“. Es lässt sich vermuten, dass wir es zuvor mit einer schlichten rhetorischen Figur zu tun hatten, mit der uns die Verfasser:innen des Textes einige Kritik, die an ihre Text erhoben werden könnten, von vornherein ausschließen wollen und es beschleicht einen doch der Eindruck, dass sie nun vermutlich alle zutreffen werden. Aber wir wollen ja nicht vorgreifen. Wir wollen uns natürlich mit den „Strategien in politischen Strafverfahren gegen Antifaschist*innen“ beschäftigen. Mit der im Text vorgenommenen Schilderung dessen, was dem Prozess vorausging, denken wir, sind ja nun alle bestens vertraut und diesen Teil überspringen wir; wir widmen uns dem Text wieder ab da, wo es um die politische Prozessführung geht.
1. Die Politisierung von Anfang an.
Wenn die Verfasser:innen des Textes bezüglich der medialen Inszenierung des Helikopterfluges sagen: „Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass der GBA dieses Verfahren politisch führen würde“, dann können wir dem nur zustimmen. Das war in der Tat von Anfang an klar. Alle, die hier noch dachten: Na, wenn die Angeklagten einen auf Lieb-Kind machen, dann werden sie schon fein aus der Sache herauskommen, müssen sich zurecht vorwerfen lassen, naiv zu sein und die Sache völlig falsch einzuschätzen. Auch das hier stimmt: „Die Entscheidung des GBA, das sogenannte „Antifa Ost-Verfahren“ zu übernehmen, den Transport nach Karlsruhe in der beschriebenen Weise zu inszenieren, war also bereits eine politische Entscheidung, jetzt mit einer großen Inszenierung einen „Schlag“ gegen militante Antifaschist_innen“ zu führen.“ Denn hier liegt die Betonung auf militant. Was aber nicht ersichtlich ist, wieso es sich um „einen Angriff auf die antifaschistische Bewegung an sich“ handeln solle. Das ist ja ganz und gar falsch, gerade gegen eine friedliche antifaschistische Bewegung wird gar nichts unternommen. Wir sehen zudem aktuell auf den Straßen, dass eine solche antifaschistische Bewegung geradezu begrüßt wird. Sie soll aber eben friedlich und auf keinen Fall militant sein, d.h sie soll das Gewaltmonopol des Staates nicht in Frage stellen. Das ist der Grund, warum mit der zutage getretenen Härte gegen die Beschuldigten vorgegangen wurde. Das ist auch der Grund, warum versucht wurde, die Notwendigkeit für militanten Antifaschismus anhaltend zu diskreditieren, wie es im Verhandlungssaal immer wieder vorkam. Nicht zuletzt deswegen brüstete sich der Vorsitzende Richter damit, dass man ja sehen könne, dass der Staat nicht auf dem rechten Auge blind sei, nachdem Leon Ringl und Co in U-Haft genommen wurden. Er tat dies, um zu unterstreichen, dass gerade ein militanter Antifaschismus nicht notwendig sei, auch nicht in Eisenach.
Das Verfahren zu einem Angriff auf die antifaschistische Bewegung in Gänze umzudeuten, mag einem akuten politischen Interesse dienlich und auch in bestimmten Situationen sinnvoll sein, aber es ist trotzdem nicht allgemein richtig. Es ist Ausdruck von einem falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen Demokratie und Faschismus und erschwert in der Folge auch die Interpretation dessen, worum es bei dem Verfahren ging und geht. Auch nach dem OLG-Verfahren folgten vor allem weitere Angriffe auf den militanten Antifaschismus und dessen Sympathiekreise, nicht aber auf den nicht-militanten Antifaschismus oder den Antifaschismus, der Militanz sogar ablehnt.
2. Öffentlichkeitsarbeit und Prozesstaktik von Beschuldigten und Soliszene: juristisch und politisch defensiv
Die Verfasser:innen schreiben nun: „Die Öffentlichkeitsarbeit auf Seiten der antifaschistischen Bewegung war – im Gegensatz zu der offensiv-politischen Herangehensweise der Strafverfolger – nach dieser Festnahme defensiv. Gewollt oder ungewollt wurde die Hauptbeschuldigte zur unschuldig Verfolgten stilisiert, als ob sie sich von militanter antifaschistischer Intervention distanzieren würde. Diese unsichere und defensive Herangehensweise konnte nicht überwunden werden.“
Es soll damit wohl ausgedrückt werden, dass die antifaschistische Bewegung durch die Offensive der Strafverfolger in die Defensive hineingedrängt wurde und zwar wesentlich hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit. Das trifft zwar das Verhältnis, also antifaschistische Bewegung=defensiv, Stafverfolgung=offensiv, aber es tut so, als ob das die Folge eines Art Scheiterns wäre. Dabei drückt sich darin ja gerade bloß das tatsächliche Verhältnis aus. Die Strafverfolgung war in der Offensive, die antifaschistische Bewegung war in der Defensive. Wenn aus welchem Grund auch immer Antifaschist:innen für militante Aktionen in Haft genommen werden, befindet sich der Staat in der offensiven Situation. Und das doch nicht auf einem Rummel, wo man sich für wenig Geld ein bisschen Zuckerwatte kaufen kann. Diese Situation hat so eine Wucht und so ein Ausmaß, dass sie nicht durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit, oder was auch immer sich die Verfasser:innen hier vorstellen, einfach überwunden werden kann. Es besteht das absolute Macht- und Kräftemissverhältnis zu unseren Ungunsten. Wenn das so leicht zu ändern wäre, dann wäre es ja ganz und gar falsch für eine Trendwende bezüglich der Wahrnehmung des militanten Antifaschismus zu warten, bis ein Prozess losgeht. Da wäre es ja besser, ganz direkt und ohne den exzessiven Nachteil, den ein Prozess bedeutet, die Meinung bezüglich des militanten Antifaschismus zu drehen. Aber auch schon ohne konkrete Beschuldigte ist das Missverhältnis so erschlagend, dass es nicht einfach durch Öffentlichkeitsarbeit geändert werden kann. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Dass militanter Antifaschismus in der Öffentlichkeit so schlecht dasteht, ist kein PR-Misserfolg und insbesondere kein PR-Misserfolg hinsichtlich des Verfahrens. Und wer das anders denkt, der hat zudem noch eine falsche Vorstellung davon, wie sich mal eben nonchalant der Diskurs zu den eigenen Gunsten drehen und beeinflussen ließe.
Überhaupt scheinen die Verfasser:innen des Textes zu glauben, dass insbesondere der Gerichtssaal sich dafür eignen würde, militanten Antifaschismus in der Gesellschaft populär zu machen: „Während des gesamten Prozesses gab es beispielsweise keine Stellungnahme oder Antrag, mit dem militanter Antifaschismus verteidigt und die Notwendigkeit auch der angeklagten Aktionen dargestellt wurde.“
Vielleicht gibt es ja Filme oder ähnliches, in welchen ein genialer Antrag oder ein flammendes Bekenntnis das Herz der Öffentlichkeit zu bewegen weiß. Aber: Das Interesse an den Details des Verfahrens war doch über weite Strecken gering; die Öffentlichkeit interessierte sich wesentlich für denselben Mist, für den sie sich bei allen möglichen Verfahren interessiert: Wie hart werden die Beschuldigten verurteilt? Welche pikanten Details gibt es? Wie brutal sind diese Antifas wirklich? Ob sich militanter Antifaschismus mithilfe eines Antrags vor Gericht verteidigen ließe, sei einfach mal dahingestellt. Es mag auch sein, dass die antifaschistische Bewegung hier noch offensiver hätte auftreten sollen, aber Solidaritätsbekundungen in Richtung der Beschuldigten gab es zuhauf und zwar keineswegs, wie hier behauptet wird, nur in dem Sinne, dass sich auf die etwaige Unschuld der Beschuldigten bezogen wurde, sondern mit einem klaren Bekenntnis zu den in der Öffentlichkeit verbreiteten Taten: „Antifa ist der Hammer“, „Bildet Hammerbanden“ usw. waren verbreitete Solidaritätsbekundungen. Dass diese über die antifaschistische Bewegung hinaus nur wenig Anklang fanden, lag nicht daran, dass die Prozessführung zu defensiv war, sondern weil militanter Antifaschismus im Allgemeinen heutzutage abgelehnt wird. Zusätzlich muss gesagt werden, dass ja die Solidarität über den Kreis der militanzbejahenden Szene hinaus gerade in Hinblick auf die ablehnende Haltung der Allgemeinheit gegenüber militantem Antifaschismus beträchtlich war. Und das, obwohl in der Öffentlichkeit, aller vermeintlich fehlgeleiteten PR zum Trotz, das Bild einer unschuldig im Gefängnis sitzenden Antifaschistin gar nicht durchdrang. Dass nun konkret im Verfahren oder im Umfeld des Verfahrens nicht ausreichend die Rolle der Nazis aus Eisenach thematisiert worden wäre und dass eine weitere Thematisierung einen Gewinn in der öffentlichen Wahrnehmung des militanten Antifaschismus hätte bewirken können, ist zum einen falsch; vielmehr ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass die staatliche Verfolgung der Nazis in Eisenach durch das Verfahren einen Schub bekommen haben. Zum anderen wurde durch das Verfahren mindestens der Fokus auf die Verhältnisse in Eisenach gelenkt, wie es zuvor nicht gelungen ist. Ob hier mehr davon auch noch mehr hätte bewirken können, erscheint uns müßig zu spekulieren.
Der zu starke Fokus des Textes auf das Geschehen im Gerichtssaal bleibt auch im Weiteren unplausibel. Wenn es heißt, es „war auch klar, dass der GBA und das Gericht gerade die antifaschistische Selbsthilfe massiv angreifen und delegitimieren würden“, dann ist dies etwas, was die GBA oder das Gericht nicht erst leisten müssen. Dies ist der Zustand ganz ohne Zutun des Gerichts, im Gerichtssaal ist es bloß nicht anders als sonst auch schon. Wie wir oben schon erwähnt haben, ist es doch wirr, davon auszugehen, dass in einem Umfeld konzentrierter staatlicher Macht, wo mehr oder weniger jede Regung vom Gericht unterdrückt werden kann, der geeignete Ort ist, etwas anderes zu führen, als wesentlich eine juristische Auseinandersetzung. Die wesentliche Auseinandersetzung wird nicht im Gericht geführt, sondern auf der Straße und dort ist der Ausdruck eben so stark oder schwach, wie die antifaschistische Bewegung gerade stark oder schwach ist. Sicher lässt sich auch im Gerichtssaal mehr Remmidemmi machen, wenn die Bewegung sich in einer gestärkten Phase befindet. Das befand sie sich aber nicht. Es ist auch nicht zu erwarten, dass im Moment eines harten staatlichen Angriffs neue Stärke aufkommt. Den Mangel an Bewegungsstärke auszugleichen, sehen die Verfasser:innen als Aufgabe der Verteidigung der Angeklagten: „Das zeigt, dass genau dies einer der zentralen Angriffspunkte hätte sein müssen, um die Legitimität des Gerichts und der zu erwartenden Strafe in Frage zu stellen. Hätte die Verteidigung ihre gesamte Kraft dazu verwendet, deutlich zu machen, dass der Staat bewusst organisierte Neonazis gewähren und damit die Betroffenen neonazistischer und rassistischer Gewalt im Stich lässt, hätte das Gericht einen viel größeren Begründungsaufwand für diese zentrale Begründung der Notwendigkeit einer harten Strafe gehabt.“
Diese Vorstellung klingt wieder einmal nach einen spannenden Film mit einem spannenden Finale. Aber zu glauben, dass mit dieser Larifari-Argumentation á la „Die wahren Schuldigen sitzen auf der Richterbank!“ oder „Die Beschuldigten gehören für ihre Taten nicht eingeknastet, sondern sie verdienen einen Orden!“ oder „Die Guten bestraft ihr, aber die Bösen lasst ihr laufen!“ die Trendwende des Verfahrens – und sei es nur in der Rezeption – auch nur im Ansatz hätte bedeuten können, ist doch abwegig. Der Vorsitzende Richter und die Staatsanwältin jedenfalls machten nicht den Eindruck, als hätten sie Lust eine „wir habe verstanden und sind nun sehr betroffen“-Show abzuziehen, wie das vielleicht bei manchen so als Erwartung herumgeisterte, weil sie denken, in der Wirklichkeit ist es, wie bei eine Socialmedia-Shitstorm und dass wir nur den moralischen Shitstorm entfesseln müssten, um uns von seinen Winden vorwärts tragen zu lassen. Überhaupt ist das Moralisieren eher Ausdruck einer unkritischen bürgerlichen Linken, als dass eine sich als progressiv verstehende Bewegung damit auftreten sollte. Die im Text folgenden Ausführungen sind genauso moralisierend, aber das, was da aufgelistet wird, das ist kein Skandal mehr, sondern das ist die Realität. Dass der Skandal ausbleibt, dass es eben kein Skandal mehr ist, wenn Nazis mit Gewalt ihre Macht ausdehnen, ist ja auch einer der Gründe, warum die vor Gericht verhandelten Taten überhaupt begangen wurden. Zu versuchen, sie vor Gericht wieder zum Skandal zu machen, ist ein engagierter Ansatz, aber er ist eben das, was zu Beginn von den Verfasser:innen angekündigt wurde: er ist abstrakt, er hat also nichts mit der Wirklichkeit und dem Konkreten zu tun. Nur da, wo man glaubt, man könne sich seine Wirklichkeit einfach ausdenken, ist er zu gebrauchen. Das Schlimme eben ist, dass der immer weiter um sich greifende Faschismus mindestens in Ostdeutschland kein Skandal mehr ist. Er ist gesellschaftliche Realität. Es reicht nicht mehr, nein, es ist sogar der falsche Ansatz, gegen den Faschismus zu skandalisieren und zu moralisieren. Diese Phase ist vorbei. Gegen den Faschismus muss man kämpfen und dieser Kampf hat zum Teil unabwendbare Konsequenzen.
Wir hatten uns ja schon eingangs mit der Aussage befasst, dass sich die Verfasser:innen ihrer Ahnungslosigkeit auch bewusst sind, da sie eben nicht alles kennen. Wenn man sich allerdings dazu hinreißen lässt, zu sagen, was alles vor Gericht Großes hätte gemacht werden müssen, was dann aber nicht gemacht wurde, dann darf wohl aus guten Gründen der Anspruch geltend gemacht werden, dass man zumindest in der Hinsicht dessen, was man da kritisiert, weiß, ob man im Recht ist oder nicht. Das ist aber nicht der Fall. Entgangen ist den Verfasser:innen jedenfalls ganz offensichtlich, dass die Beschuldigten sehr wohl eine politische Erklärung abgegeben haben und dabei vom Gericht unterbrochen wurden, und das insbesondere hinsichtlich Eisenach seitens der Verteidigung einiges getan wurde, um die Bedingungen in Eisenach und die Bedeutung von Ringl und Co zur Sprache zu bringen. Dass dies keinen Erfolg – wie er hier von den Verfasser:innen angenommen wird – hatte, dürfte bekannt sein.
3. Das ewige Dilemma: „politische Verteidigung kann zu höheren Strafen führen“
Zumindest diesen Befund teilen wir: Vor politischer Prozessführung wird oft zurückgeschreckt, weil dies vermeintlich zu höheren Strafen führt. Das ist eine weit verbreitete Annahme, allerdings gibt es kaum Belege dafür. Es gibt aber einige Beispiele, wo politische Prozessführung keinen erkennbar negativen, vielleicht sogar einen positiven Effekt hat. Viele Fragen sind aber einfach spekulativ: Verändert das persönliche Verhalten den Ausgang des Prozesses? Entscheidet das Gericht oder die Öffentlichkeit? Ist Anpassung oder Widerstand der richtige Weg? Wie bleibt man im Gericht seinen Idealen treu?
Wenn gesagt wird: „In einer Situation, in der eine Verurteilung klar zu erwarten ist, weil beispielsweise eine Person auf der Flucht von einem Überfall auf eine Neonazikneipe festgenommen wird, oder auch, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht offensichtlich verurteilungswillig sind, mag es hierauf gar nicht ankommen. Das vorliegende Urteil zeigt ja, dass die juristische Verteidigung ihr Ziel gar nicht erreichen konnte, weil das Ergebnis, hohe Strafen zur Abschreckung antifaschistischer Selbsthilfe und Selbstorganisation, bereits vorher feststand“, dann teilen wir das. Wir glauben auch, dass es nicht immer Sinn macht, zu versuchen, dem Urteil zu entkommen, aber ob man es dennoch versuchen will oder nicht, ob man auf Glück oder Zufall hofft, dass bleibt nunmal den Angeklagten überlassen. Wir erwarten jedenfalls nicht, dass eine andere Prozessführung per se zu irgendwelchen herausragenden Erfolgen führt oder wesentlich am Ergebnis etwas ändern kann. Die Hoffnung, dass es wirkungsvoll ist, „das Gericht politisch und moralisch unter Druck zu setzen und die Legitimität der Anklage in Frage zu stellen“ teilen wir jedenfalls nicht, wie wir oben schon ausgeführt haben. Auch sehen wir kaum eine Chance, irgendetwas in der „Wahrnehmung einer breiteren Öffentlichkeit festzuschreiben“. Die Annahme einer solchen breiten Öffentlichkeit, die aufmerksam und kritisch Verfahren gegen militante Antifaschist:innen verfolgt, erscheint uns ganz allgemein eine Fehleinschätzung zu sein, fast hätten wir gesagt, veraltet. Deswegen ist auch die letzte Passage des Textes eine Art „wünsch-dir-was“: „Die antifaschistische Bewegung muss sich klar machen, dass in Prozessen wie dem beschriebenen die verhängte Strafe nicht an der „Schuld des Angeklagten“ festgemacht wird, sondern an der Wahrnehmung der Tat in der Öffentlichkeit. Die Verteidigungsstrategie kann sich dies zu Nutze machen. Dies bedeutet dann aber gegebenenfalls einen Bruch mit den bekannten Prozessstrategien, den Verzicht auf die Arbeit mit den normalen Mitteln der Strafprozessordnung. Um eine solche Prozessführung umzusetzen, muss allerdings bei den Beschuldigten/Angeklagten und ihren Unterstützer_innen eine klare politische Einschätzung vorhanden sein, welche die Hoffnung auf prozessuale Erfolge und ein verständiges Gericht aufgibt und ihre Kraft aus der politischen Auseinandersetzung zieht, die außerhalb des Gerichtssaals geführt und dann in den Gerichtssaal hineingetragen wird.“
Das klingt nun nach dem Holzschwert der kreativen Prozessführung oder der Laienverteidigung, der wir hier nochmal in aller Deutlichkeit eine Absage erteile wollen. Diese Vorstellung, dass politische „Auseinandersetzung […] außerhalb des Gerichtssaals geführt und dann in den Gerichtssaal hineingetragen“ werden, klingt zwar schmissig, vermisst aber die Begründung, warum die politische Auseinandersetzung im Gerichtssaal solche Bedeutung besitzen sollte. Die Voraussetzung dafür ist ja das Vorhandensein einer Bewegung, die im Außen bereits Akzente setzt. In einer Phase, wie im Text ja selbst festgestellt wird, in der das nicht der Fall ist, ist gar nicht ersichtlich, wieso es nun auf einmal andersherum funktionieren sollte, dass also im Gerichtssaal angefangen wird und die Isolation durch einen „Verzicht auf die Arbeit mit den normalen Mitteln der Strafprozessordnung“ durchbrochen werden kann. Das tut gerade so, als ob politische Tätigkeit beliebig ist und beliebig Erfolge produzieren kann, wenn nur engagiert gehandelt wird, engagiert und mit einem festen moralischen Kompass.
Im Gerichtssaal geht es auch nicht einfach bloß um Knast oder Freiheit. Für den einzelnen Menschen mag es durchaus einen Unterschied machen, ob nun 2 oder 4 Jahre im Gefängnis abzusitzen sind, ob eine Geldstrafe oder eine Haftstrafe am Ende herumkommt. Für alle, die ihren Arsch an die warme Heizung halten, natürlich nicht. Von diesem heimeligen Platz aus lässt sich immer sagen: „Sie sollten besser so und so, strategisch viel klüger wäre so und so.“ Das ist so kämpferisch und hilfreich wie die Kommentierung eines Boxkampfes, wo man vor dem Fernseher sitzt und ruft „Deckung hoch!“
Wir wollen jedenfalls kein Märtyrertum und kein Opfer an die politische Strategie. Wir wollen, dass unsere Genoss:innen in Freiheit sind und wenn sie ins Gefängnis geworfen werden, sollen sie so schnell wie möglich wieder heraus. Politische Kämpfe werden natürlich an allerlei Orten geführt, auch im Gerichtssaal und auch im Knast, aber nicht alle Orte sind gleich gut dafür geeignet. Wir freuen uns immer über Mut und Entschlossenheit auch in der Konfrontation mit gefährlichen Gegnern und Situationen, aber wir scheuen auch nicht den vermeintlich feigen Rückzug von Kampfplätzen, auf denen nichts zu gewinnen ist. Der wichtigste Kampfplatz bleibt für uns die Straße.